Es war eine sternklare Nacht im Juni.
Der letzte Vollmond vor der Sommersonnwende.
Diese Nacht eignete sich am besten, um wirklich wirkungsvolle Arkarnika, also magisch wirksame Heiltränke, herzustellen.
Leanda wusste von mindestens vier anderen befreundeten Magistra, die in dieser Nacht ebenfalls in unterschiedlichen Wälder überall auf der Erde gereist waren. Sie waren auf kleinen Inseln, hohen Bergen oder in den riesigen Urwäldern rund um den Äquator unterwegs, um dieses Mondlicht in ihre Flaschen einzufangen.
Sie hatte sich für eine kleine Quelle im Wald bei Brocéliande in der Bretagne entschieden. Ihr Knochenheiltrank ist war restlos aufgebraucht und sie wollte sich nicht länger etwas von den Kolleginnen im Curatorium borgen müssen.
Der Heliotag, das jährliche großes Fest an Mittsommer, stand unmittelbar bevor und die Medarcanen, wie sich die Heilerinnen, die das Omega- Chromosom trugen, stolz nannten, wusste, dass an diesem Tag besonders viele Knochen von jungen, übermütigen Magistras zu Bruch gingen.
Wo sie gerade über die Unbesonnenheit junger Geister nachdachte, Leanda hatte schon vor einigen Minuten die beiden jungen Frauen hinter dem großen Stein bemerkt, die offenbar hier seit Einbruch der Dunkelheit gewartet hatten. Sie hatten wohl gehofft, das sich eine Magistra heute Nacht an der Quelle blicken lassen würde. Sie selbst waren noch zu jung, um "das Glühen" zu haben, wie Leanda trotz der Dunkelheit erkennen konnte.
Seit einiger Zeit konnte zwar jeder sein Blut bei den Hütern des Sternencodes auf das Omega-Chromosom testen lassen, doch dieser Service wurde von der jüngeren Generation kaum in Anspruch genommen.
Die beiden Mädchen verhielten sich respektvoll und ruhig und so beschloss die Magistra, sich bis auf Weiteres von ihnen aus ihrem Versteck heraus beobachten zu lassen.
Die 25-Jährige Magistra wusste noch allzu genau, wie neugierig auch sie noch vor einigen Jahren war.
Außerdem hatte sie keine Geheimnisse. Sie konnte Magie bei ihrer Arbeit vor und mit Menschen wirken, warum also nicht auch heute Nacht an diesem kleinen Teich.
Leanda holte ihre Utensilien aus ihrer Tasche hervor. Sie mochte ihre Ausrüstung, sie hätte sie gewissenhaft zusammengetragen, teils aus Erbstücken ihrer Großtante, die ebenfalls eine Medarcane gewesen war, teilweise hatte Leanda sie auf ihren ausgedehnten Reisen in versteckten kleinen Geschäften erworben.
Sie holte die große kupferne Schüssel hervor, die im Mondlicht jeden Hammerschlag ihrer Herstellung erkennen ließ. Zusätzlich die beiden kleinen Kugeln, eine aus Silber und die andere aus Gold. Diese beiden waren aus der Sammlung der Schwester ihrer Großmutter, die klingenden Kugeln waren schwierig herzustellen und deshalb wurden sie meist vererbt.
Als letztes zog sie sich noch die weiße Gänse Feder aus dem Haar, die ihre langen Locken zurückgehalten hatte.
Ganz leise konnte sie die beiden jungen Frauen hinter sich hören, die offenbar beschlossen hatten, dass Leanda sie ohnehin längst bemerkt hatte, wie sie es sich auf dem Felsvorsprung oben auf dem großen Findling bequem machten.
Nun, solange sie das Mondlicht nicht verdecken sollte es ihr Recht sein. Magistra oder nicht, es war nie schlecht, wenn die jungen Leute ein bisschen alte Magie zu Gesicht bekamen. Heutzutage war alles oft viel zu modern und außer dem kurzen silbernen Glühen konnten die nicht magisch veranlagten Ceasus oft nicht sehen, wenn Magistras zauberten. Sie spürten nicht das kribbeln, dass einen durchfuhr, sobald jemand an den Saiten der Realität zog.
Leanda ließ sich nicht beirren, diesen Zaubertrank hatte sie in den letzten fünf Jahren schon so oft gemischt, sie wusste genau, was sie tat. Sie stellte die langhalsige Flasche bereit und legte ihre Feder daneben.
Alles sollte so viel Mondlicht wie möglich abbekommen, dann wirkte der Trank einfach noch ein wenig besser. Sie ging hinunter zur Quelle des kleinen Teiches und schöpfte mit der Kupferschale etwas Wasser direkt aus der Kante des Steines ab, wo sich das Wasser seinen Weg ins Freie bahnte. Dadurch kam es ausschließlich mit dem Licht des Mondes und dem Metall in Kontakt . Hierbei handelte es sich um den schwierigsten Moment der Herstellung. Vorsicht balancierte Leanda die Schale zurück zu ihrem kleinen Arbeitsplatz und stellte sie vorsichtig ab.
Dabei fing sie den Blick des scheinbar jüngeren der beiden Mädchen auf und zwinkerte ihr kurz zu. Als sie die Schale abgestellt hatte, legte sie noch kurz den Finger an die Lippen, obwohl sie sicher war, dass keine der Anwesenden auch nur einen Laut gemacht hätte.
Die große, dunkelhaarige Frau setzte sich im Schneidersitz zwischen ihre Utensilien und schloss kurz die Augen, um sich wieder voll auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Dann nahm sie die beiden Metallkugeln in eine Hand, stellte sich die Metallschüssel in den Schoß und begann mit der Feder das Wasser sachte zu rühren. Also sie einen gleichmäßigen Wirbel erzeugt hatte, ließ sie die beiden Kugeln in ihrer Hand langsam umeinander Kreisen so dass sie ein leises, metallisches Klingen erzeugten. Leanda atmete tief ein, sah zum Mond und summte leise die Melodie, die sonst nur in ihrem Inneren erklang.
Großtante Erlande hatte es so erklärt: Man konnte einer Magistra beim Summen ihrer Melodie zuhören, man konnte die Tonfolge aufschreiben und sie imitieren und es würde rein gar nichts passieren. Jede Medarcane und eigentlich jede Magistra hat ihre ganz eigene Melodie in sich. Manche Magistras konnten sie nicht so einfach hören, manche fanden sie bis an ihr Lebensende gar nicht. Doch bei den medizinisch begabten Omega Trägerinnen war sie laut und immerzu für sie in ihrem Inneren hörbar. Deshalb brauchte Leanda sich nicht besonders lange zu fokussieren und es spielte keine Rolle, dass sie spüren konnte, wie die beiden Mädchen hinter ihr die Luft anhielten.
Sie summte ihre Melodie und fast sofort erhellte sich der kleine Teich vor ihr im Licht ihrer silbern glühenden Nase. Die beiden Klänge, das Klingen der Kugeln und das Summen ihrer Melodie, vereinigten sich über der Schale zu einem harmonisches Zusammenspiel, das sie mit der Feder in das hinein Wasser rührte. Die Magistra war immer wieder erstaunt darüber, wie schnell die ganze Prozedur eigentlich vonstattenging.
Bereits nach einigen Minuten spürte sie, dass das Wasser die gesamte Magie dieses Momentes aufgenommen hatte. Der Hauptgrund, warum sie ihr kleines Publikum gewähren ließ. Leanda wusste, dass keinerlei freie Magie in der Nähe verbleiben würde. Sie goss all sie zusammen mit dem arkan behandelten Wasser in die Flasche, die direkt neben ihr stand. In diesem Glaskolben war nun ein ganz besonderer Trank, der als Arkarnika das Wachstum von Knochen anreizte, um sie dazu zu bewegen, innerhalb von Minuten wieder zusammenzuwachsen.
Leanda mochte diese "alte" Art von Magie. Sie fühlte sich echt an, roh und wirklich. Sie hatte sie mit ihren Händen und ihrer Stimme erschaffen und in einer Flasche eingeschlossen.
Bevor sie zu ihrem kleinen Hubgleiter zurückkehrte, stellte sie sicher, dass die beiden Mädchen die von ihr zurück gelassene Feder fanden. Leanda hatte keine Verwendung mehr für sie und für die beiden jungen Frauen war es ein greifbarer Beweis dessen, von dem sie eben Zeuginnen geworden waren.

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