Von außen sah das Baumhaus aus wie immer. Eine wunderschöne riesige Buche
Sie wusste, alle Schüler waren in dieser Woche zur Exkursion an den großen Kraterrand des Vredefort-Kraters gefahren, um dort die Geologie zu erforschen. Es gab in jedem Jahr eine große Forschungsreise, an dem alle Schüler jedes Jahrgangs teilnahmen und dieses Mal waren sie alle nach Südafrika gebracht worden.
Varen war, wenig überraschend, im obersten Stock ihres Baumhauses. Das sich jedoch heute ziemlich verändert hatte, wie Tarin erstaunt feststellte. Die vom indirekten Licht angestrahlten Blätter der Buche waren nicht mehr im gewohnten Grün zu sehen, nein, heute waren sie zur Seite geschoben und schimmerten vor dem blanken Sternhimmel in dunklen Lilatönen. Mitten im Raum stand Varen mit ihren grauen Strubbelhaaren, mit dem Rücken zur Türe, allerdings konnte Tarin ganz deutlich das Glühen ihrer Nase sehen, das den Raum vor ihr erhellte. Leise blieb sie im Türrahmen stehen und beobachtete wie Varen in höchste Konzentration vertieft die Blätter des Baumes mal hierhin und mal dahin schob. Sie half manchmal etwas mit den Händen nach, wobei das mehr der Orientierung half, denn die Blätter waren mindestens zwei Meter über ihr.
Um Varen nicht zu irritieren trat Tarin auf die knarzende Stelle am Boden, um ein kleines Geräusch zu machen und somit auf ihre Anwesenheit hinzuweisen. Die große, athletische Frau in der Zimmermitte drehte sich schnell zu ihr um und ließ das Silber auf ihrer Nase verglühen.
"Oh nein, ich dachte nicht das du schon da bist, ich bin ja nicht fertig!", sagte sie, als sie Tarin in der Türe stehen sah.
Tarin ging auf sie zu, nahm sie in den Arm und sah nach oben.
"Es ist traumhaft", sagte sie leise und atmete den Duft von Varens Haaren ein.
"Aber ich wollte noch Kerzen aufhängen!"
"Nein, die Sterne sind so wunderschön heute, wir benötigen keine Kerzen" meinte Tarin und sah nach oben.
Varen gab ihr einen Kuss auf die Stirn und löste sich aus ihrer Umarmung. Sie ging zu kleinen Tisch an der Seite des Zimmers, auf dem, wie Tarin erst jetzt sah, eine große Schale mit dampfendem Gemüseauflauf stand.
Varen wusste, dass sie einen schweren Tag gehabt hatte und hatte sich fest vorgenommen, sie so richtig zu verwöhnen. Sie machte Tarin einen Teller fertig und stellte ihn ihr hin, holte sich selbst einen und fragte: "Na, wie ist er denn so, der neue Direktor der Träumer?"
Während sie aßen erzählte Tarin ihr von Solen, dem neuen in der Führungsriege der Traumebene. Er kam vom kleineren Standort in Rio, war also die großen Gebäude und die vielen Magistras auf einem Fleck noch nicht gewohnt. Er würde sich noch eine Weile schwertun damit, als männlicher Magistra nicht mehr als Paradiesvogel zu gelten, nicht mehr ganz allein zu sein. Aber deshalb hatte er auch an den Hauptgeschäftssitz wechseln wollen. Für weibliche Magistra war es oft einfacher in der großen weiten Welt, denn es gab viele von ihnen, die Menschen waren an sie gewohnt, sie kamen gut miteinander zurecht. Bei Frauen ging man öfter davon aus, dass sie magisch veranlagt sein könnten, auch wenn sie ihr Glühen nicht öffentlich zeigten. Bei Männern war es anders, es gab nur sehr wenige mit Omega Chromosom, allein aus dem praktischen Grund, weil es nicht so gut an den beiden anderen Chromosomen haftete. Ob das Omega gleichmäßig bei der Entstehung neuen Lebens verteilt wurde und bei einem vorhandenen Y Chromosom einfach "abfiel" oder ob es sich gar nicht so oft bildete, das war bisher noch eines der Rätsel, das die Hüterinnen des Sternencodes noch zu lösen hatte.
Solen jedoch war ein männlicher Magistra und er wusste das schon lange. Sein Glühen zeigte sich sehr früh, schon mit 21 war er in der Arcana Prima. Vielleicht war das der Grund, warum er jetzt, mit 43 eher konservativ war.
Varen und Tarin beendeten ihr Mahl und legten sich auf das ausladende Bett, zwischen die enormen Kissenberge und schauten in den Sternhimmel. Zwischen den violett gefärbten Blättern suchten sie nach Sternschnuppen und Tarin berichtete, dass Solen offenbar nicht mit der neuen Richtlinie für Nichtmagier einverstanden war. Für sie alle war das neu, doch neu war bestimmt nicht immer schlecht. Die Archon des Lichts hatte nach langem Verhandeln mit UdN einen Vertrag aufgesetzt, in dem es Magistra endlich erlaubt wurde, für nicht magisch veranlagte Menschen zu zaubern. Solen fand das in seiner Funktion als Traumwandler nicht gut. Er meinte, er wisse, was in den Meschen vorgehe und nur weil sie, seit Petronilla vor 700 Jahren der Hexenverfolgung ein Ende gemacht hatte und sie niemanden mehr verbrannt hatten, würde das nicht heißen sie würden es nicht sofort tun, bekämen sie die Gelegenheit dazu.
Tarin, als oberste Hüterin der Ordnung, hörte sich seine Sorgen natürlich an. Sie verstand seine Angst, aber auch sie kannte die Menschen. Die meisten von ihnen waren weder böse noch neidisch auf ihre magischen Fähigkeiten. Und Gegensatz zu Solen verstand sie, warum Loberi die Magie etwas öffnen wollte. Sie wollte die Welt für alle Menschen besser machen. Und wenn eine Magistra im Auftrag einer nicht magisch veranlagten Caeci die Welt vielleicht etwas schöner oder leichter machte, was sprach denn dagegen?
Solen meinte: viel. Zu viel, um die Welt so grundlegend zu ändern. Er war der festen Überzeugung, dass die Menschen zu schnell zu gierig werden würden. Dass sie zu viel Veränderung zu ihren Gunsten verlangen würden. Und das alles ohne Gegenleistung! Denn das hatte Loberi strikt verboten. Die oberste Richtlinie zum neuen "Lex Arcanarum Humana" dem neuen Gesetz über arkanes Handeln an Menschen“ war, das keine Bezahlung eingefordert werden durfte. Und das war Tarin für genug Kontrolle zur Sicherstellung der Regeln.
Und in den Hospitälern war es schon immer Standard, dass Magistras allen Menschen bei der Heilung halfen. Die Pflegerinnen konnten gebrochene Knochen heilen und bei schwerwiegenden Krankheiten zumindest die Schmerzen nehmen, wenn die Ursache selbst nicht bekämpft werden konnte. Denn hier gab es magische Grenzen. Niemand war unsterblich, auch die beste Magistra nicht. Woran Varen selbst erst wieder schmerzlich erinnert wurde. Doch daran wollten beide heute nicht denken, heute gehörte der Abend ihnen und dem Sternenzelt.
Als sie langsam einschläft, werden die Blätter langsam wieder grün und das Blätterdach schließt sich über dem Bett
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