Weil sie reich war und englisch und romantisch. Es könnte wahr sein, es wäre schön, wenn es wahr wäre.
Allerdings war es ihre Zofe Petronilla, die das erste Omega-Gen in sich trug.
Alice war es jedoch, die das erkannte. Sie sah, dass Petronilla anders war. Sie wusste nicht, warum, aber sie wusste, dass sie Petronilla vor der aufkeimenden Hexenverfolgung beschützen musste. Also lenkte sie die Aufmerksamkeit auf sich. Sie legte sich einen Kessel und ein paar Warzen zu und ließ Petronilla ihre Arbeit machen. Der Kessel war aber nicht ausschließlich zur Show. Sie forschte. Sie wollte Petronillas Andersartigkeit ergründen. Verstehen, was vor sich ging und es bewahren.
Denn es ist eine seltsame Sache, die Sache mit dem Omega-Chromosom. Es wird nicht vererbt, es gibt keine logische Verteilung innerhalb der Menschheit. Die einzige Sache, die feststeht, ist, dass das Omega-Chromosom besser zwischen den beiden X-Chromosomen haftet als zwischen einem X und einem Y-Chromosom. Aber nicht ausschließlich. Natürlich wusste Alice das alles noch nicht. Alles, was sie wusste, war, dass Petronilla echte Magie wirken konnte. Anders als die vielen Frauen, die bis dahin als Hexen verfolgt wurden, die meist nur einfache Heilerinnen oder einsame alte Frauen waren.
Außerdem hat Petronilla die bisher erste und einzige Weltformel gesprochen. Niemand weiß genau, wie die Weltformel bis heute wirkt oder wie sie sie konstruiert hat.
Alice war dabei. Petronilla hatte etwas zu viel Absinth getrunken, aber das war nicht so ungewöhnlich. Die beiden hatten einen langen Tag hinter sich, einen langen, schlimmen Tag. Sie kamen rechtzeitig zur jungen Kürschnerin, das war es nicht. Sie konnten trotzdem nichts mehr tun. Die junge Frau starb wenige Stunden nach der Geburt ihres ersten Kindes. Aber dann war Petronilla wütend geworden, sehr wütend. Sie hat gemurmelt und geflucht und getrunken. Sie war so wütend darüber, dass sie die junge Frau nicht retten konnten, dass sie so oft nichts tun konnten und die Frauen bei der Geburt ihrer Kinder einfach starben.
Und dann, plötzlich, glühte ihre Nase Golden. Das war neu. Sonst glühte sie immer silbern, wenn sie Magie wirkte. Sie murmelte etwas, das Alice nicht verstehen konnte und Petronilla wollte es ihr später auch nicht sagen.
Aber seitdem ist keine Frau mehr im Kindbett gestorben. Keine war mehr verblutet, es gab keine schwerwiegenden Infektionen mehr und auch keine Uterusrupturen. Und diese Magie hatte die Welt verändert. Bis heute.
Rückblickend gesehen endete auch die Hexenverfolgung nach diesem Tag. Denn mit dieser Veränderung änderte sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft ganz grundsätzlich. Frauen waren nicht mehr so leicht austauschbar, weil die Mutter der ersten drei Kinder bei der Geburt des vierten verstarb und sich jemand um die Kinder kümmern musste. Frauen konnten nun selbst bestimmen, wen sie heiraten wollten. Oder ob sie überhaupt heiraten wollten. Es war für die Männer zunächst schwer zu verstehen und zu akzeptieren, weil die Tradition mehr Komfort versprach als die Ungewissheit des Neuen.
Doch auch hier wusste Alice Abhilfe zu schaffen. Sie und ihr Mann waren seit Langem etabliert in der gehobenen englischen Gesellschaft. Vor allem zur der Royal Society hatten sie exzellente Verbindungen, und Alice war eine freigiebige Gastgeberin.
Und Petronilla war recht gut im Tränke mischen und hatte ein wirksames Rezept für einen Wein, der den Geist für neue Ideen zugänglicher macht. Sie wollte die genaue Mixtur nicht verraten, doch Alice musste auffallend häufig Alantwurzel, Geistesblüte und Gänsefingerkraut im Garten nachpflanzen. Bei vielen Teegesellschaften, die in Alices Haus traditionell bis in die späte Nacht dauern konnten, wurde dieser spezielle Wein nur zu gerne genossen.
So war Wilhelm von of Ockham ein oft und gerne gesehener Gast in ihrem Hause und über ihn verbreitete sich später die allgemeine Ansicht, dass Frauen inzwischen in der Ehe gleichgestellt sein sollten. Eines Abends, zu recht später Stunde, erklärte Alice ihm, was Petronilla getan hatte. Und welche Folgen dieser Eingriff in die Weltgeschichte haben würde. Denn Alice wusste, Wilhelm war ein weitsichtiger Visionär, er würde verstehen was es bedeutete das Frauen nun selbstbestimmter leben konnten.
Er schrieb daraufhin das Manifest "Summa logicae" aufgrund dessen er natürlich umgehend der Haräsie angeklagt wurde. Zum päpstlichen Prozess nach Avignon begleitete ihn Petronilla.
Es gab in diesen frühen Zeiten natürlich die "Ordnung" noch nicht, die heute den Einsatz von Magie beschränkt, und eigentlich konnte Petronilla als einzig bekannte Magistra ohnehin Magie wirken, wie immer sie wollte. Also beeinflusste sie sowohl den Papst als auch den Kaiser Maximilian mittels Magie ohne zu Zögern dahingehend, dass sie die Kirche vom strikten Patriarchat wegbewegten und den Kaiser zu einer beginnenden Trennung von Staat und Kirche. So verlor die Kirche ab diesem Tag zusehends an Einfluss, sowohl im alltäglichen Leben als auch auf staatspolitischer Ebene.

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